Newsletter 2020

 Verehrte Wohltäter, liebe Freunde!

Covid-19 fiel wie eine Naturkatstrophe über die Welt her und stellte unser gewohntes Leben voll auf den Kopf. Kein Fleck auf Erden blieb verschont, und so hat es auch die Provinz Guarayos und unsere Projektarbeit voll getroffen.

Kurz vorher – im Januar 2020 - mache ich mich zum 18. Mal auf nach Bolivien. Jetzt würden dort Sommerferien sein mit der Hoffnung auf ein bisschen mehr Zeit und Muße mit den Schwestern. Nach einer Nacht im Flieger verlasse ich frühmorgens den Flughafen Santa Cruz de la Sierra. Schwester Romana empfängt mich und mit ihr eine üppige, prall-grüne tropische Vegetation. Die gigantischen Wolkenformationen am knallblauen Himmel kenne ich, und doch bin ich immer wieder von ihnen fasziniert. Ich bin in einer wunderbaren Welt!

In Guarayos herrscht Ferienstimmung. Viele Schwestern sind bei ihren Familien. Das Kloster wirkt leer und verwaist. Wo sonst 10, 12, 14 Schwestern im Comedor schwatzen, lachen, scherzen herrscht jetzt ungewohnte Stille und Ruhe. Mit Schwester Martha, die erst im vergangenen Jahr zur Provinzoberin gekürt wurde, will ich die nächsten Schritte unserer Projektarbeit planen, aber auch sie ist nicht da. Das Wetter ist für diese Zeit typisch: es regnet wie aus Kannen. Die eh schon schlechten Wege sind schlammig, ausgewaschen und unbefahrbar. Vom Kloster hinüber ins Zentrum Santa Clara ist es nur ein Sprung, aber der wird zur Rutschpartie auf glitschigem Lehm. Ich nehme die nassen Füße in Kauf und gehe trotzdem hinüber, die beiden Einrichtungen TAU sind wegen der Ferien geschlossen. Schwester Janira plant Besuche im Dorf, aber die fallen wegen des Dauerregens buchstäblich ins Wasser. Im Dorf ist es ungewohnt ruhig. Kein Lärm der Motos, denn die Kunden fehlen. Ohne Kunden kein Geld, ohne Geld kein Essen für die Familie.

Ich nutze diese Zeit zum Gedankenaustausch mit den Schwestern. Schwester Andrea möchte eine Armenküche einrichten mit einer Art „Essen auf Rädern“. Es klingt machbar und plausibel. Freddy, der Chauffeur, ist weg und arbeitet in einer eigenen Auto-Werkstatt. Ein Verlust! Eloi, der Fahrer unseres Taxidienstes, muss jetzt einspringen. Es kommt ihm gelegen, denn sein Fahrbetrieb läuft nicht. Die Argumente häufen sich und machen den lang schon diskutierten Kauf eines eigenen Fahrzeugs endlich plausibel. Die Missionszentrale hat dieses Projekt längst genehmigt, die Gelder liegen bereit und Eloi könnte der neue Fahrer sein.

Bei einem heftigen Gewitter schlägt der Blitz in die Elektroversorgung ein. Kein Licht, kein Wasser. Ohne Strom kann die Pumpe zur Wasserversorgung nicht arbeiten und einen Handwerker muss man erst suchen. Mit einer Minireserve aus der Wasserflasche putze ich mir die Zähne. Jemand kocht Regenwasser ab und macht Kaffee. Für die Wasserspülung füllen wir Regenwasser in Wannen und Kannen und Töpfe, denn die Reparatur dauert. Im Zentrum Santa Clara tropft Wasser von der Decke des Lagerraumes. Eine Helferin räumt wenigstens die Säcke mit den Sojabohnen zur Seite. Man ist solche Pannen gewöhnt.

Schwester Janira und ich widmen uns der Jahresstatistik. Sie ist Grundlage und Richtschnur für die Effektivität unserer Arbeit. Schwester Janira hat seit einem Jahr ihren Arbeitsschwerpunkt auf die Außenbereiche des Dorfes gelegt, um die Bedürfnisse der Kinder gezielt feststellen zu können. Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder. Wir sind zufrieden.  

Alles über die AHA-Regeln.

Alles über die AHA-Regeln.

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Information und Beratung

Irgendwann reißen die Wolken auf und die Sonne knallt abrupt in aller Heftigkeit auf uns herab. Die Besuche im Dorf nehmen wir wieder auf. Zu Fuß gehen wir von Hütte zu Hütte. Das ist bei der Hitze zeitraubend und anstrengend. In einer der letzten Familien – wir schaffen heute nur fünf – finden wir gleich fünf Kleinkinder in schlechtem Zustand: krank, behindert, retardiert, unterernährt. Wir bestellen sie ein in die Sprechstunde, wo sie in unser Programm aufgenommen werden.

Aufregung: Schwester Miriam kann die Gehälter nicht auszahlen, weil kein Geld da ist. In voller Panik rufe ich in der Missionszentrale in Bonn an: Herr Graef bestätig die Auszahlung des beantragten Gelds. Wir müssen suchen. Am Ende bleibt uns nichts anderes übrig, als nach Cochabamba zu fliegen. Nur in Bolivien ist es möglich spontan von heute auf morgen Flugtickets zu kaufen. Wir buchen und ich bezahle sie aus meiner Privatkasse. In Cochabamba ist die franziskanische Buchungsstelle ansässig. Zu nachtschlafender Zeit brechen wir auf, um den Flieger morgens um 6.00 Uhr ins Hochland zu erreichen. Der Zeitaufwand ist enorm und steht nicht in Relation zu meiner knappen Zeit in Guarayos. Bei unserer Ankunft ist es 7.00 Uhr und für unsere Verabredung noch zu früh. Bei einem gallebitteren Kaffee mit einem lauwarmen Gummisandwich irgendwo im Terminal hole ich meine Notizen hervor zur Besprechung der weiteren Schritte unserer Projektarbeit. Einstimmig beschließen wir jetzt endlich den Kauf des Autos. Ein historischer Moment! Die Hüttenbesuche zu Fuß sind viel zu zeitaufwendig, und der Transport unserer behinderten Kinder im Pkw ist schlicht fahrlässig. Auch der Ausbau der sog. Aula muss vorangehen: Das Ernährungszentrum Santa Clara ist das Herzstück des Projekts Guarayos und muss dringend erweitert werden. Bei uns allen kommt Freude auf, handelt es sich doch um einen längst überfälligen Schritt.

Der Buchhalter der Franziskaner ist geduldig und akribisch. Mit vereinten Kräften finden wir den Fehler und atmen auf. Schwester Miriam kann die Gehälter jetzt zahlen, sind sie doch Existenzgrundlage unserer Mitarbeiterinnen und ihrer Familien. Schwester Martha strahlt – wir sind uns einig!

Reis, Öl, Zucker, Seife, Nudeln,  Eier…

Reis, Öl, Zucker, Seife, Nudeln,  Eier…

Und dann kommt Corona! Wie aus dem Nichts wird die ohnehin armselige Region überrumpelt. Ein Krisenmanagement gibt es nicht. Es fehlt an Masken und Schutzkleidung, von Testungen ganz zu schweigen. Das Auto kann nicht ausgeliefert werden, die Umbauarbeiten müssen warten. Die Menschen können ihren Straßenverkauf nicht mehr fortführen, es fehlt das Geld für die tägliche Mahlzeit. Bald schließen auch die Märkte. Irgendwann funktioniert der Verkehr nicht mehr, die Straßen sind blockiert, es fehlt von allem der Nachschub. Die Schwestern müssen aus dem Stand umdisponieren und ihren Arbeitsplan den Bedürfnissen anpassen. Unsere Mitarbeiterinnen kochen, um fertige Gerichte in die Hütten zu bringen. Lebensnotwendige Nahrungsmittel werden gekauft und in die Familien gebracht. Bald organisieren die Schwestern größere Lebensmittel- Transporte, um die Ärmsten der Armen in der Not nicht allein zu lassen.

…unser täglich Brot…

…unser täglich Brot…

Schwester Janira klärt per Mikrophon die Familien auf, bringt ihnen Seife und mahnt zu besonderer Hygiene. Die Aufforderung, Abstand zu halten, klingt zynisch, teilen sich doch viel zu viele Menschen in ihren beengten Hütten Tisch und Bett.

Inzwischen haben die Lehrerinnen der Behinderten- Einrichtungen TAU I und TAU II eine Art homeschooling eingerichtet. Sie bringen den Kindern Arbeitsblätter und sammeln sie zum Korrigieren wieder ein. Hier geht es weniger um neue Lernschritte als um den Schutz vor Isolierung und Einsamkeit.

Meinen 19. Flug im Oktober 2020 musste ich coronabedingt aufschieben. Wir haben alle erkannt, dass unser „Projekt Guarayos“ gerade in dieser Krisenzeit großartige Arbeit leistet. Die Zahl der unterernährten Kinder ist leider trotz aller Bemühungen angestiegen. Schwester Janira behält sie im Blick, um Schlimmes zu verhindern. Im Zuge der schlechten Ernährung ist auch die Tuberkulose wieder aufgeflammt, die einigermaßen beherrscht schien. Wir werden gebraucht - in der Krise mehr denn je. Nun warte ich auf die Corona-Impfung, damit ich bald wieder nach Bolivien aufbrechen kann.

Homeschooling

Homeschooling

Hierzulande mag unser gewohnter Wohlstand vielleicht stellenweise bröckeln, die elementaren Bedürfnisse unseres täglichen Lebens aber bleiben uns erhalten. In Guarayos ist das nicht so. Um dort den Ärmsten der Armen zu helfen, braucht es Improvisationstalent, Teamgeist und eine hohe Solidarität. Bleiben Sie gesund und tapfer und werben Sie bitte für die neue, rettende Impfung gegen Covid-19.

Mit den besten Wünschen für ein gutes, ein besseres 2021 verbleibe ich in franziskanischer Verbundenheit

Ihre Ute Glock.

Marwin Hehl