Rollende Ambulanz soll die Not in Bolivien lindern
Kreisanzeiger vom 01.12.2010
Von Michel Kaufmann
Luis Fernandos Leben schien vorbei, bevor es richtig angefangen hatte. Vor fünf Jahren setzte seine Familie den damals zweijährigen Jungen aus der bolivianischen Provinz Guarayos aus, weil er mit verkrüppelten Füßen auf die Welt gekommen war. Die Schwestern des Franziskanerordens, die dort Missionsarbeit leisten, fanden den Kleinen und päppelten ihn auf. Ute Glock, Kinderärztin aus Büdingen und Initiatorin des Hilfsprojekts „Guarayos“, hat das Schicksal des Jungen hautnah miterlebt.
Eigentlich ist die Rettung des kleinen Luis ein Einzelfall, denn „Guarayos“ will mit den Spenden nicht punktuell helfen, sondern Grundlagen schaffen, welche die Situation der indigenen Einwohner von Guarayos auf lange Sicht verbessern. Denn die Menschen dort leben zwar inmitten einer malerisch wirkenden Kulisse, die der Dschungel bietet, aber in einfachen Hütten, oft zusammen mit ihrem Vieh, und haben kaum genug, um täglich satt zu werden.
2003 ging die Büdinger Ärztin in den Ruhestand und suchte eine neue Aufgabe. Sie lernte Schwester Letitia Palhuber kennen, die Anfang der 60er Jahre im Ort Ascensión in der bolivianischen Provinz Guarayos ein Hospital gegründet hatte. „Ich war sehr interessiert, und sie lud mich ein, das Hospital einmal zu besuchen“, erzählt Glock. Die Ärztin reiste nach Bolivien und merkte vor Ort schnell, woran es mangelte: „Es gab keine Basis für erfolgreiche Arbeit, es fehlte an einer Vernetzung der Kräfte vor Ort.“
Der Ansatz ihrer Gruppe ist, mit Spenden keine „Nadelstiche“ zu setzen, sondern langfristig und nachhaltig zu arbeiten. So begann Ute Glock, gemeinsam mit Freunden Spenden für neue medizinische Ausrüstung zu sammeln.
Die Gruppe um die Kinderärztin ist kein Verein, Spenden werden über die Franziskaner gesammelt, „Guarayos“ kann aber frei über das gesamte Geld verfügen. „Wir arbeiten eng mit dem Franziskanerorden und mit der Organisation PLAN International zusammen, stellen aber trotzdem sicher, dass wir unsere Spenden selbst verwenden können“, sagt Glock. „Unser Vorteil ist, dass wir persönlich nach Bolivien fliegen und vor Ort entscheiden, was getan werden soll.“ So kommen die Spenden zu 100 Prozent der Bevölkerung zu Gute.
Das Konzept funktioniert: Die Schwestern vor Ort machen Ute Glock auf Probleme aufmerksam. Von vielem kann sie sich bei ihren Reisen selbst ein Bild machen. Dann entscheidet die Gruppe, ob und wie man finanziell helfen kann. „Wir heben das Geld in Bolivien ab und zahlen die Dinge, die wir brauchen, in bar“, beschreibt die Ärztin die Vorgehensweise. Es komme vor, dass sie gemeinsam mit einer der Nonnen und einer Handtasche voller Geld durch Santa Cruz, die nächste größere Stadt, laufe, um für die Projekte einzukaufen.
Vor Überfällen habe sie dabei nie Angst gehabt. Die Menschen dort seien nach wie vor sehr gläubig, Nonnen hätten daher nichts zu befürchten. „Wir haben klein angefangen. Ein paar Labor- und OP-Geräte gekauft, Ausbildungskosten für das Personal übernommen“, sagt sie. Schließlich habe man im Hospital eine Geburtsklinik komplett ausstatten können und im Februar 2009 zum größten Teil ein neues Röntgengerät finanziert.
„Zuerst lag unser Augenmerk auf der medizinischen Versorgung. Man brauchte die richtigen Geräte, und das Personal musste damit umgehen können“, erklärt Ute Glock. Als die medizinische Grundversorgung in der Region zu funktionieren begann, habe man schnell gemerkt, dass die medizinische Hilfe wegen fehlender Ausbildung und Nachsorge oft vergebens sei. „Also haben wir als nächstes die Bildung in Angriff genommen“, sagt die Ärztin. So sei unter anderem 2008 eine kleine Schule ausgestattet worden, die Lehrerin werde ebenfalls von den Spenden bezahlt. Insgesamt habe die Gruppe seit 2004 rund 130 000 Euro gesammelt. Drei Schwerpunkte hat man sich für die Zukunft gesetzt: Gesundheit, Ernährung und Bildung.
Neben Schule und Klinik werden Kinder mit altersgerechter Ernährung versorgt und regelmäßig gewogen. „Nur durch Ernährungsberatungen und Investitionen in Bildung können wir Erfolge im gesundheitlichen Bereich langfristig sicherstellen“, erklärt die Ärztin. Hilfe für einzelne Kinder, wie sie der kleine Luis erhalten hat, sei aber auch möglich. „Wenn akute Gefahr besteht, sind wir flexibel genug, um helfen zu können“, sagt Glock.
Das nächste Projekt ist eine rollende Ambulanz, die auch die Menschen erreichen soll, für die der Weg zum Hospital zu weit ist. „Dazu brauchen wir natürlich zuerst ein Auto, aber auch ausgebildetes Personal.“ Im Januar will sie wieder nach Bolivien reisen.
Ein großes Problem sei, dass die Gruppe über den eigenen Bekanntenkreis hinaus nahezu kaum wahrgenommen werde. „Wir können es uns nicht leisten, viel Marketing zu betreiben. Selbst die Flüge nach Bolivien zahlen wir aus eigener Tasche, damit auch wirklich jeder Spendeneuro dorthin fließt, wo er gebraucht wird“, erklärt Ute Glock. Deshalb will die Gruppe Gelegenheiten wie den Büdinger Weihnachtsmarkt am zweiten Adventswochenende unbedingt nutzen, um Werbung zu machen und Spenden zu sammeln. Am Stand in den bolivianischen Nationalfarben kann dann neben Informationen auch allerlei Leckeres gekauft werden.
Wer am Projekt „Guarayos“ interessiert ist, kann die Damen am Weihnachtsmarkt am Samstag und Sonntag, 4. und 5. Dezember, direkt ansprechen oder die Internetseite www.project-guarayos.org besuchen.